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Ausbildung

Die beste Investition in unsere Zukunft

Von Dr. Melanie Stehle, Tierärztin

Nachdenklich sitze ich am Teich und beobachte die friedliche Natur mit all ihren fliegenden Libellen und den neugierigen Goldfischen im Wasser. Die wärmenden Sonnenstrahlen des Spätsommers vollenden diese Idylle und es ist der perfekte Ort, um meine Gedanken kreisen zu lassen. Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit und Zukunft. Aufgrund meiner gesundheitlichen Zwangspause ist dieses Thema für mich präsenter denn je.

Kastrationen von Straßentieren sind wichtig, das wissen wir und inzwischen auch die griechischen Verwaltungen. Und bei der Anzahl von Straßentieren, die in weiten Bereichen Europas noch unterwegs sind, wird man um die Kastrationen als humane Lösung nicht umher kommen. Unser Verein reagiert darauf mit einer personellen Ausweitung des Tierärztepools. Je mehr Tierärzte, desto mehr kann kastriert werden. Thomas verfolgt diese Idee seit 25 Jahren. Aber was bedeutet das im Einzelnen?

Unsere Arbeit, der ich seit dreizehn Jahren ebenfalls verfallen bin, hat nichts mit normalen Arbeitsstrukturen zu tun - sie erinnert viel mehr an Ausnahmezustände in einem Kriegslazarett. Zumindest zeigen uns die schwerverletzten und traumatisierten Patienten jeden Tag, dass das Leben nicht immer fair mit ihnen umgeht. Umso schöner ist es, diese Tiere wieder zurück ins Leben zu holen und zu sehen, wie ihre Wunden heilen.

Diese rührenden Momente erfüllen uns in unserem Beruf, weil es unsere Berufung ist. Für uns ist es das größte Glück, helfen zu können, Schmerzen zu nehmen und den Weg in ein artgerechtes Leben zu begleiten. Um dieses Glück zu empfinden, sind wir bereit, auf Vieles zu verzichten, persönliche Einschnitte hinzunehmen und oft am physischen und psychischen Grenzstreifen entlangzugehen. Nicht jeder Mensch möchte dies, auch Tierärzte nicht immer.
Demnach ist die personelle Vergrößerung des Tierärztepools gar nicht so einfach. Bei Vorstellungsgesprächen in Deutschland, von denen wir gute Hundert im Jahr führen, nehmen wir kein Blatt vor den Mund. Wir erzählen von Notfällen, die aussehen wie ein Mettbrötchen, von schierer Brutalität, von über 15-Stunden Arbeitstagen, von 40 Grad Umgebungstemperatur. Und die Begeisterung in den Augen der meist jungen Kolleginnen wird immer größer. Die Welt zu erkunden, andere Länder kennenzulernen, helfen zu können und für die eigene Vita noch etwas dazu zu lernen… Sie wollen alle kommen!

Nach dem ersten Arbeitstag an der Front ist die Laune noch gut, am zweiten schleicht sich die Müdigkeit ein und nach der ersten Woche spüren wir „alten Hasen“ deutlich, dass ab jetzt die Herausforderung beginnt. Aber nicht bei allen. Einige wachsen in dieser Zeit. Sie tragen oft seit Kindesbeinen den Wunsch in sich, helfen zu wollen, koste es was es wolle. Und sie halten durch. Sie spüren, dass da mehr ist als ein üppiger Lohn, geregelte Arbeitsbedingungen, ruhige Sonntage. Sie spüren, dass nur sie, einzig und allein sie, für das Leben oder den Tod ihres Patienten verantwortlich sind. Diejenigen, die diese Verantwortung ernst nehmen, sind die, die wir ernst nehmen. Es sind die, die wir haben wollen, die wir später an die Front schicken können, um sicher zu sein, dass sie ALLES geben, um zu retten, was zu retten ist.

Ein Goldfisch schwimmt auf mich zu, hinter ihm zwei jüngere. Ich lache ihnen zu, denn ich sehe mein Spiegelbild im Wasser.

Ich sehe Miriam, die als junges Mädchen ein Praktikum bei uns absolvierte und zwischen Journalismus und Tiermedizin schwankte. Nach den 14 Tagen gab es nur noch einen Wunsch: als Tierärztin im Einsatz. Das ist nun schon fünf Jahre her. Fünf Jahre, in denen Miriam als Schriftführerin einen Vorstandsposten im Verein angenommen hat, sich um die Pflege von Instagram und Facebook kümmert, zig Mal mit uns zu den Einsätzen aufbrach und ich sie in Kürze als frisch gebackene Tierärztin neben mir sehe. Oder Michelle, bei der es ähnlich ablief. Auch sie wird den Tierärztepool nach ihrem Studium ergänzen. Oder Ramona, die gerade in Wien ihr Studium angetreten hat. Aber es gibt auch bereits fertige Tierärzte, die sich uns anschließen und die bleiben möchten. So wächst der Tierärztepool, so haben wir alle angefangen und die meisten sind seit Jahrzehnten dabei und können sich ein anderes, sinnvolleres Leben kaum noch vorstellen.

Für mich ist es ein hehres Ziel, die nachfolgende Generation von Tierärzten auszubilden und zu begleiten. Fachlich, aber auch freundschaftlich. Wir schlafen bei den Einsätzen unter einem Dach, wir verbringen jede Minute des Tages miteinander, wir erleben gemeinsam alle emotionalen Höhen und Tiefen. Wir lachen und wir weinen miteinander. Unsere Operationsmethode bei Hündinnen und Katzen entwickelte sich in den vielen Jahren zu einer Technik, die einem minimalinvasiven Eingriff gleicht. Dieses Wissen gebe ich gerne an meine jungen Kolleginnen weiter. Innerlich schmunzle ich, wenn es um die Spezialtechniken geht und die Kolleginnen förmlich an meinen Handgriffen kleben, um das Geheimnis der kleinen Bauchschnitte erlernen zu dürfen.

Neben unseren „eigenen, neuen“ Tierärztinnen besuchen uns auch viele junge griechische Kolleg:innen. Immer wieder wird mir klar, dass meine Tierschutzaufgabe nicht nur meine eigene Arbeit am Operationstisch ist, auch wenn es das ist, wofür mein Herz am meisten schlägt. Mit jeder Weitergabe meiner Erfahrung helfe ich vielfach. Auch das ist Tierschutz und von immenser, nachhaltiger Wichtigkeit.

Und obwohl viele Helferinnen und Tierärztinnen aus unserem Team bereits seit mehr als zehn Jahren der Arche treu zur Seite stehen und wir uns als „Arche-Familie“ fühlen, müssen wir an die Zukunft unserer Mission denken. Änderungen in unserer familiären Situation, Krankheit oder sonstige Gründe können wir manchmal nicht voraussehen. Umso schöner ist das Wissen, dass wir eine tatkräftige Verstärkung ausbilden konnten und der Funke, unser Funke, übergesprungen ist.

Als der Teich, an dessen Ufer ist sitze, angelegt wurde, fanden fünf Goldfische hier eine neue Heimat. Inzwischen sind es unzählige. In den Wellen, die der leichte Wind aufkommen lässt, sehe ich Parallelen.
Danke, ihr kleinen Goldfische, dass ihr die Idee und unsere bisherigen Leistungen als Welle weiter in die Welt hinaustragt.

Eure Melanie