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Auf zu neuen Ufern

Vorwort von Dr. Herwig Zach, Tierarzt

Liebe Leserinnen und Leser des Arche Noah Reports,
mein Name ist Herwig Zach, ich bin Tierarzt und Obmann des Vereins Bons Amigos, der hauptsächlich auf den Kapverden tätig ist. Auf den Kapverdischen Inseln leben viele streunende Hunde und Katzen und diesen armen Kreaturen zu helfen und dabei auch für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen und einen achtsamen Umgang mit der Natur beizutragen, ist unsere Aufgabe. „Bons Amigos“ bedeutet auf Portugiesisch „Gute Freunde“ und so erleben wir auch unsere Arbeit:  langjährige gemeinsame Arbeit zum Wohl der Tiere. Seit über einem Jahrzehnt arbeiten wir in vielen Einsätzen zusammen mit dem Team des Fördervereins Arche Noah Kreta e.V. und dem Tierärztepool. Ohne diese Zusammenarbeit und Unterstützung wäre „Bons Amigos“ nicht dort, wo wir heute sind. Und über diese Zeit sind wir auch selbst zu guten Freunden geworden, verbunden durch die gemeinsame Sorge für die Tiere. Auch und gerade in einem Land, das nicht einen Standard kennt, wie wir ihn in Europa haben und wo es auch vielen Menschen am Nötigsten fehlt. Wir sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, auch hier Arbeit zum Wohl der Tiere zu tun, denn nur so kann sich die Welt dahin verändern, dass nicht mehr die Interessen von Mensch oder Tier oder Umwelt gegeneinander ausgespielt werden. Eine gute und zukunftsfähige Lösung muss allen gleichzeitig zugutekommen.

Tierschutz in einem Land wie der Republik Cabo Verde sieht anders aus, als wir es sonst gewohnt sind. Es ist beispielsweise nicht möglich, Tiere, die auf der Straße leben, einzufangen und in einem Tierheim unterzubringen. Erstens gibt es fast keine Tierheime, zweitens ist die Zahl der Streunertiere so hoch, dass es ein Tierheim für Tausende Tiere bräuchte. Und selbst wenn es durch eine gewaltige Investition zu einem solchen käme, wären die Erhaltungskosten in einem armen Land wie Cabo Verde nicht leistbar und folglich die Bedingungen dort unerträglich. Und zusätzlich würden sich die wenigen draußen verbleibenden Tiere durch den freigewordenen Platz massiv vermehren und binnen kurzem gäbe es zusätzlich zu den Tieren, die in dem Tierheim leben, wieder eine ebenso große Zahl an Tieren auf den Straßen wie zuvor.

Wie kann man nun diesem Problem sinnvoll begegnen? Der Fachausdruck dafür heißt „Dog Population Management“ und diesem Konzept haben wir uns aus Überzeugung verschrieben und passen es immer an die Bedingungen an, die wir vor Ort vorfinden.

Über Dog Population Management ließe sich viel schreiben, zusammengefasst ist es ein umfassendes Konzept, das darauf abzielt, die Lebensbedingungen der Tiere zu verbessern und gleichzeitig die Ursachen dafür, dass es eine Population an Streunertieren überhaupt gibt, zu beseitigen sowie die negativen Konsequenzen, die sich durch die Existenz von Straßentieren ergeben, einzudämmen. Dadurch führt unsere Arbeit zum Wohl der Tiere auch zu einer Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit der Menschen und besserem Umwelt- und Artenschutz. All diese Dinge hängen untrennbar miteinander zusammen.

Bons Amigos fokussiert sich in seiner Arbeit vor allem auf Inseln, auf denen es so gut wie keine medizinische Versorgung für Tiere gibt und wo niemand das Wissen und die Mittel hat, vernünftig mit der Streunertierproblematik umzugehen. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie sehr unsere Arbeit gewünscht und unsere Hilfe gesucht wird. Für uns ist es aber auch wichtig, die Menschen vor Ort in unsere Arbeit einzubeziehen und ihnen das notwendige Wissen und die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln. Dadurch wird der Erfolg unserer Arbeit letztlich ein gemeinsamer Erfolg mit der Möglichkeit, nachhaltig bestehen zu bleiben.

Im vergangenen Jahr haben wir so auf den Inseln Fogo und Brava erfolgreiche Einsätze durchführen können: Auf Fogo waren wir schon dreimal und auf der kleinen Insel Brava konnten wir im Frühjahr 2023 bereits den 7. Einsatz durchführen. Dabei ist es schön zu bemerken, wie sich über die Zeit die Erfolge unserer Arbeit zeigen:

  • Tiere, auf die mehr geachtet wird und die gesünder sind, auch wenn viele weiterhin zumindest die meiste Zeit über auf den Straßen leben.
  • Ein gesteigertes Bewusstsein für Tierschutz in der Bevölkerung
  • Eine Reduzierung von Erkrankungen, die zwischen Tier und Mensch übertragbar sind.
  • Besseres Wissen bei den zuständigen Gemeindeverwaltungen und anderen öffentlichen Stellen, das zu besseren und zielführenderen Entscheidungen führt.

Zudem haben wir 2023 den ersten Einsatz auf der entlegenen Insel São Nicolau durchführen können, auf der es keinen einzigen Tierarzt gibt und wo noch nie eine Initiative zur Hilfe für die Tiere stattgefunden hat. Über diesen Einsatz hat die daran teilnehmende Tierärztin Valentina Schuster einen Bericht verfasst, mit dem ich Ihnen einen Eindruck unserer Arbeit vermitteln möchte. Lassen Sie sich also von uns mitnehmen auf die kapverdischen Inseln …

Bericht von Valentina Schuster, Tierärztin

Der Archipel der Kapverden umfasst neun bewohnte Inseln im atlantischen Ozean, von denen jede auf ihre Weise einzigartig ist. Schwarzes Vulkangestein, weiße Sandstrände, grün leuchtende Hänge und das strahlende Blau des Meeres in all seinen Farbstufen…

Die Insel São Nicolau liegt im Norden des Inselstaates und wird von der kapverdischen Mornasängerin Cesaria Evora als “Terra d’Sodade”, als Sehnsuchtsland, besungen. So abgeschieden und verträumt wie man es sich vorstellt, lebt es sich dort wirklich und so ist es auch nicht verwunderlich, dass nun zum ersten Mal ein Team die Insel mit dem Vorsatz betreten sollte, zwei Wochen lang im Dienste der Hunde und Katzen aktiv zu sein.

Das Team bestand bei diesem Einsatz aus drei Tierärztinnen - Lara und Alice aus Portugal und mir (Valentina), zwei erfahrenen „Veterinarios técnicos“ der Bons Amigos - Julio und Gilson - und der freiwilligen Helferin Verena aus Österreich.
Die Gemeinde Tarrafal auf São Nicolau hatte den Verein kontaktiert und aktiv um Unterstützung beim Dog Population Management ersucht, um einen nachhaltigen Unterschied zu erwirken. Die Verantwortlichen beteiligten sich nicht nur aktiv an der Planung dieser ersten Kampagne, sondern stellten zur Unterstützung unseres Teams mehrere Mitarbeiter der Gemeinde und des Landwirtschaftsministeriums zur Verfügung, die beim Einfangen, Transportieren und Registrieren der Tiere engagiert waren und zum Teil auch in der OP-Vorbereitung mitarbeiten konnten.

Die Abläufe der Kampagnentage ähnelten sich stark: meist warteten am Morgen schon Besitzer mit ihren Tieren vor dem Kampagnengebäude auf uns - mal einem alten Fischmarkt, mal einer leerstehenden Schule. Nach der Registrierung wurden die Patientenbesitzer über die anstehende Vorgangsweise informiert, dann gelangte das Tier in die Hände des OP-Teams, wo ein Anamnesebogen ausgefüllt wurde und die OP-Vorbereitung begann.

Der andere Teil des Teams brach zu Streifzügen durch die Straßen des jeweiligen Einsatzortes auf, um noch mehr Hundebesitzern von unserer Arbeit zu erzählen oder Straßentiere einzufangen und direkt zur Kampagne zu bringen. Im Allgemeinen konnten wir auf São Nicolau einen recht guten Gesundheitszustand der Tiere vermerken, jedoch wurden trotzdem viele von Parasiten, besonders Zecken, Flöhen und Räudemilben geplagt. Durch eine sehr großzügige Medikamentenspende konnten wir ausgewählte Tiere mit sehr langanhaltenden Antiparasitika behandeln, was deren Lebensqualität auf ein ganz neues Level angehoben hat. Nach der Kastration wurde von Tieren, die von Zecken befallen waren, Blutproben genommen und Parasiten gesammelt, die im Zuge einer Studie über von Zecken übertragbare Krankheiten in Cabo Verde ausgewertet werden.

Um die Motivation zur Zusammenarbeit bei den Einheimischen und den Stellenwert der Tiere in der Bevölkerung zu heben, bekam jeder kastrierte Hund ein Halsband als Markierung umgelegt. Dieses kleine Detail macht im Straßenbild und auch als aufwertendes Symbol des besten Freundes des Menschen einen entscheidenden Unterschied. Viele Kinder kamen mit ihren Tieren vor allem deshalb zur Kampagne, um auch so ein schönes, leuchtendes Halsband für ihren Hund zu bekommen. Dass man die Kinder auf São Nicolau nicht nur mit kleinen Geschenken, sondern auch mit Musik und Spielen begeistern kann, das hat Alice auf diesem Einsatz erlebt. An insgesamt fünf Schulen hielt sie in unterschiedlichen Altersgruppen einen Tierschutzunterricht und hatte im künstlerischen Nachmittagsprogramm für Kinder, “Educarte”, Malhefte und Lieder dabei, die schon die Kleinsten für die Bedürfnisse von Tieren sensibilisieren und über die Verantwortung für deren Wohlergehen aufklären.

Unser Bestreben ist eine langfristige Zusammenarbeit mit den Gemeinden, um nicht nur für die Einzeltiere, sondern für die gesamte Hundepopulation einen positiven Unterschied zu machen. Dies unterzeichneten die Verantwortlichen nach zwei anstrengenden, aber sehr produktiven und schönen Kampagnenwochen in einem Vertrag, in dem sie sich zur Durchführung weiterer Einsätze verpflichten.

In den elf Kampagnentagen wurden 381 Tiere behandelt, davon 329 Kastrationen durchgeführt - viel Zeit für Streicheleinheiten bleiben bei den langen Arbeitstagen nicht. Jedoch gibt es immer einige Hunde, die uns auf besondere Weise berühren. In Tarrafal war es z.B. “Preta”, die mit ihrem zuckersüßen Welpen in der Straße vor unserem Hotel lebte und uns jeden Morgen und jeden Abend schwanzwedelnd und unaufdringlich freundlich begrüßte. Und dann war da noch “Anton”, den wir wegen einer intensiveren Wundpflege für ein paar Tage zu uns nahmen und der sich durch seinen lieben, geduldigen Charakter ganz fest in unsere Herzen schmuste. Es ist schade, dass wir den Hunden und Katzen auf den kapverdischen Inseln nur so kurz begegnen und die sanftmütigen Charakterköpfe nicht besser kennenlernen können, doch geben uns diese flüchtigen Bekanntschaften so viel Kraft und Motivation, um unsere Arbeit auch zukünftig fortzusetzen.

Ihre Valentina