Skip to main content Skip to page footer

Kapverden - Floki

Ein Text von Dr. Marga Keyl, Tierärztin

Wir waren gerade mit unserem Equipment von Espargos nach Palmeira umgezogen, der kleinen Hafenstadt im Westen der Insel Sal auf den kapverdischen Inseln. Es hatte sich noch nicht herumgesprochen, dass wir dort waren und wir warteten auf die ersten Patienten. Ich weiß gar nicht mehr, wie er hereingekommen ist, aber plötzlich lag er da. Man hatte ihm zur Sicherheit einen Maulkorb aufgezogen.
Ich warf einen Blick auf diesen schmutzigen Hund und mein Blick streifte seine Verletzungen an den Beinen. „Das ist BITTE nicht euer Ernst, was um Himmels Willen soll ich da denn jetzt machen??“, schoss es mir durch den Kopf. Die Verletzungen an den Beinen waren vor Dreck eigentlich gar nicht zu erkennen, sie sahen aus, als seien sie schon mindestens zwei bis drei Tage alt. Später erfuhr ich allerdings, dass sich der Unfall in der vorangegangenen Nacht ereignet haben musste. Was war da wieder passiert? Wieso muss man in der Nacht mit einem Auto durch einen kleinen Ort rasen ohne Rücksicht auf Verluste?? Es macht mich immer wieder so wütend, die Zahl der Autounfälle mit schwer verletzten Hunden nimmt einfach nicht ab.
Vorsichtig stellte ich den Hund auf die Beine, ich wusste nicht, was er für Schmerzen hatte und wie er reagieren würde. Ich musste zunächst herausfinden, ob etwas gebrochen war – denn eine offene Fraktur hätte eine Amputation des Beines zur Folge. Doch er stand auf beiden Beinen und konnte auch laufen. Es erstaunt mich immer wieder, wie hart im Nehmen diese Geschöpfe sind.
Damit schöpfte auch ich erst einmal Hoffnung, dass die Situation nicht ganz so aussichtslos ist, wie sie zunächst schien.
Also los, nützt ja nix. Einen Venenzugang konnten wir nur am Hinterbein legen. Vorsichtig leiteten wir die Narkose ein. Eine große Schüssel mit Wasser, viel Seife und mehrere Schwämme brachten langsam das Ausmaß der Verletzungen unter dem Dreck zum Vorschein. Auf dem OP-Tisch reinigte ich dann die Wunden in mühevoller Kleinstarbeit, das tote Gewebe auf der Oberfläche der Wunden und der restliche Dreck mussten entfernt werden. Die Haut zieht sich an dieser Stelle sehr schnell zurück und meine Befürchtung war, dass ich die Wunden gar nicht mehr zusammennähen kann. Beim zweiten Bein war es auch so, doch mit einigen chirurgischen Tricks konnte ich die Wundränder zumindest einander annähern.
Nach der OP griff ich in die Verbandskiste und packte beide Beine in dicke Verbände ein. Dass es die schwedischen Nationalfarben waren, fiel mir erst etwas später auf, als ich auf mein Handy schaute und einen verpassten Anruf von meiner guten Bekannten Susanna aus Schweden sah. Sie arbeitet als Tourguide für TUI und hatte auf ihrer Tour am Morgen den Hund an der Fontanario liegen sehen, ein gut besuchter Ort, an dem die Menschen ohne fließend Wasser im Haus ihre Kanister füllen können. Susanna hatte versucht, mich telefonisch zu erreichen um mich über den Unfall zu informieren.
Der Hund lag wohl schon den ganzen Morgen dort, viele Menschen hatten ihn wahrgenommen, doch Hilfe hatte keiner geholt. In Reisegruppen fielen die Worte „einschläfern“ und „erlösen“, wie ich später erfuhr und es schockierte mich doch sehr, dass niemand von uns früher informiert wurde.
Susanna kannte den Hund von ihren Inseltouren, sie hatte immer Leckerlies für ihn dabei. Und sie wusste, dass wir an besagtem Tag mit unserer Klinik in Palmeira waren. Sie erklärte einem älteren Kapverdianer, der neben dem Hund saß, wo wir zu finden sind und dieser holte daraufhin sofort eine Schubkarre und brachte den Hund zu uns.
Schwedische Retterin, schwedische Verbände - die Zeichen standen also auf „Norden“ und so sollte der Hund auch einen nordischen Namen bekommen. Wer die Serie „Vikings“ gesehen hat, denkt vielleicht sofort an Ragnar, aber Ragnar passte nicht. Floki sollte es sein, das passte von der Statur, und auch der Serien-Floki war lange verletzt und musste gepflegt werden bis er wieder gesund war.
Dass Floki erstmal mit zu uns zog (nachdem er all seine Zecken und Flöhe losgeworden war), war klar. Wir mussten täglich die Verbände wechseln und ihn mit Medikamenten versorgen. Dass die Wundnähte nicht halten würden, war auch klar. Das allabendliche Ritual bestand darin, dass meine Assistentin Ramona Floki auf ihren Schoß nahm und ihn fest in ihren Armen hielt, während ich die Verbände wechselte und die Wunden säuberte. Floki ließ das Ritual meist sehr tapfer über sich ergehen.
Er musste nun mit uns täglich auf Tour kommen, sich ans Autofahren gewöhnen und an den Trubel der Kastrationstage. Er lief von Anfang an perfekt an der Leine und zeigte sich von seiner besten Seite. Auch musste ich mir keine Sorgen machen, dass er mir die Wohnung auseinandernimmt, wenn wir ihn alleine ließen.
Die Tage vergingen und wir versuchten immer noch herauszufinden, ob er einen Besitzer in Palmeira hat. Einen Hund von den Kapverden nach Deutschland zu bringen ist sehr aufwändig und die Vorbereitungen dauern mindestens vier Monate. Das größte Problem ist, eine vertrauenswürdige Pflegestelle auf Sal für diese Zeit zu finden.
Auf einer ihrer Touren traf Susanna den netten Kapverdianer wieder, er bestätigte unsere Vermutung: Floki hat keinen Besitzer in Palmeira. Er ist ein „echter“ Straßenhund. Als ich das hörte, stand die Entscheidung fest: wir finden ein Zuhause für ihn. Er war uns (und ganz besonders Ramona) mittlerweile so ans Herz gewachsen und ihn auf die Straße zurückzubringen nach all den Wochen der Pflege, das kam nicht mehr in Frage. Floki war inzwischen auch schon stadtbekannt: der Hund der aussieht wie ein Dressurpferd, wenn er mit seinen großen Ohren und seinen bunten Bandagen an den Beinen durch Santa Maria trabt.
Bevor wir zurück ins kalte Deutschland fliegen mussten, übergaben wir Floki an das Tierheim von OSPA, wo er vorübergehend unterkommen konnte. Die Wunden waren noch nicht komplett verheilt und dort konnten weiterhin seine Verbände gewechselt werden.
Und hier kommt Bella ins Spiel: Bella ist aus Deutschland und arbeitet ebenfalls als Tourguide für TUI. Bella hat schon einen Welpen adoptiert, den sie mit Parasiten übersäht im Norden der Insel gefunden hatte. Auch Bella kannte Floki von ihren Inseltouren und war sehr besorgt um ihn. Sie bot an, ihn in Pflege zu nehmen, sobald sie von ihrem kurzen Aufenthalt in Deutschland wieder zurück ist – und das hat sie auch getan.
Floki versteht sich blendend mit ihrem Welpen Luna (die inzwischen auch ganz schön gewachsen ist) und ist ein völlig ausgewechselter Hund. Die beiden spielen und toben im Sand, Luna schläft inzwischen lieber bei Floki als in Bellas Schlafzimmer.
Es ist toll, wenn alle Räder so ineinandergreifen und ich bin sehr dankbar, all diese wundervollen Menschen auf Sal zu kennen. Es macht einen großen Unterschied, ob man die Hunde „mal eben schnell“ nach Deutschland ausfliegen kann oder ob man voll und ganz auf die Infrastruktur und die Kontakte auf einer kleinen Insel angewiesen ist.
Und wenn jetzt alles weiter so gut läuft, dann hat Floki wohl sein neues Zuhause gefunden.