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Heraklions Hinterbeine

Von Dr. Julia Ricken, Tierärztin

Im Tierheim von Heraklion kann, seit ich dort im Frühjahr dieses Jahres meine Arbeit aufgenommen habe, eindeutig eine erhöhte Konzentration gebrochener Oberschenkel festgestellt werden!O

b sich dieser Trend auf die Straßen Heraklions extrapolieren lässt, ist nicht belegt.
Los ging es wohl mit Oskar, der dort bereits seit einem Vierteljahr mit einem Fixateur Externe, also einem von außen angebrachten Gestell am Bein, saß, den ein örtlicher Kollege ihm verpasst hatte. Der fiel jedoch, kaum dass ich dort war, von alleine (Ehrenwort) heraus - was in diesem Fall auch gut war, denn er hatte eine ordentliche Knochenentzündung mit sich gebracht. Was von der Heilung des Bruches und der eventuellen Indikation für eine erneute Operation zu halten war, wusste ich allerdings nicht so genau. Das angefertigte Röntgenbild ließ mich zweifeln - und laufen tat er gar nicht gut, bei einem stattlichen Gewicht von über 40 kg.

Die Lösung?
Die wunderbare Möglichkeit, ihn nach Deutschland zu schicken.
Wo zunächst einmal ein richtig gutes Röntgenbild gemacht wurde. Und aufgrund dessen entschieden wurde, dass er die bereits begonnene Antibiose zwar noch lange würde zu sich nehmen müssen... er um eine weitere Operation aber herumkommen sollte. Dass seine Pflegestelle ihn nicht lange behalten konnte, daher mit Hochdruck nach Adoptanten suchte und die sich - dem Himmel sei Dank - auch richtig schnell fanden, war dann der zweite große Glücksfaktor.

Da dachte ich puh, gut gegangen, erledigt; nun wieder Alltag.
Dann kam Adonis. Der lief noch schlechter, also überhaupt nicht auf seinem gebrochenen Hinterbein. Auch er durfte nach Deutschland zur Orthopädin - und in seinem Fall war klar, da hilft nur innen angebrachtes Metall. Davon bekam er also einiges in Plattenform an seinen gebrochenen Oberschenkel geschraubt, und begann bereits am folgenden Tag, das reparierte Bein zu belasten!

Seine Pflegefamilie ist mit Adonis wohl ganz schön auf den Hund gekommen -  zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen darf bezweifelt werden, dass Adonis noch in eine andere Familie umgesiedelt werden muss. Möge der zögerliche Vermieter sich einen Ruck geben und Hundehaltung auf Dauer gestatten! :)

Adonis war dann noch gar nicht lange in Deutschland, da wurde Angelos ins Tierheim gebracht. Er erzählte so wenig wie alle anderen, wie und wo und wann er seinen Oberschenkel gebrochen hatte. Er war aber der jüngste in der Kohorte und dementsprechend verlief seine Heilung am schnellsten. Das hier in Heraklion angefertigte Röntgenbild hatte kaum Kallus, also Knochenheilung gezeigt. Bis wieder einmal eine Pflegestelle gefunden war, er seine Reise ins Glück geschafft hatte und in der nordischen Klinik vorgestellt wurde, war das anders, sodass die Kollegin sich in seinem Fall wieder gegen eine Operation entschied.

Die Knochenenden standen zwar nicht optimal zu-, sondern eher nebeneinander, waren aber bereits aneinander festgewachsen und die Achse stimmte. Weiterhin könnte seine Jugend, ergo das noch vor ihm liegende Knochenwachstum, helfen, die aus der Läsion resultierende Verkürzung seines Oberschenkels zumindest teilweise auszugleichen. Er sucht zum Zeitpunkt meines Schreibens eine Familie. Adonis ist aber ein verspielter, verschmuster, junger Charmeur und ich somit hoffnungsvoll.

Ja, und dann war da noch Leiya.
Nach all diesen Happy-Ends zögere ich fast, Ihnen diese Geschichte zu erzählen. Aber sie gehört einerseits auch zu unser aller Tierschutz-Alltag und andererseits ist auch sie ein Beispiel dafür, mit wie viel kompetentem Herzblut unser Netzwerk von Tierärzten und helfenden Händen sich kümmert - auch wenn das Herz dabei manchmal blutet.

Leiya hatte auch einen gebrochenen Oberschenkel. Aber sie hatte leider auch eine Lähmung des anderen, nicht gebrochenen Hinterbeins. Diese Lähmung war nicht komplett, sie schritt aber bedauerlicherweise fort im Laufe der knappen Woche (das war Rekord!), die zwischen ihrer Abgabe im Tierheim auf Kreta und ihrer Vorstellung in der Klinik in Deutschland verging. Inwieweit das gebrochene Bein auch von Lähmung betroffen war, ließ sich nicht eindeutig feststellen - es sprachen aber einige Untersuchungsergebnisse dafür. Auch hier waren die im Norden angefertigten Röntgenbilder eine andere Klasse als die südländischen und führten nach viel Abwägen und Kopfzerbrechen zu der Entscheidung, ihr weiteres Leiden zu ersparen. Die Lähmung ließ sich zwar auch hier nicht durch knöcherne Läsionen, etwa der Wirbelsäule, erklären, aber es zeigten sich außer der bereits auf den kretischen Aufnahmen sichtbaren Haupt-Fraktur weitere Fissuren, die den Erfolg einer Reparatur des Oberschenkelknochens aller Wahrscheinlichkeit nach ad absurdum geführt hätten. Das, in Kombination mit der ja leider trotz Medikation fortschreitenden, anstatt sich bessernden Lähmung, ließ uns alle gemeinsam schweren Herzens zu diesem Entschluss kommen. Ein trauriges Ende.

Und doch bin ich auch in Leiyas, genauso wie in allen anderen hier genannten und den vielen nicht genannten Fällen, zutiefst dankbar für die Unterstützung, die ich und wir alle vor Ort und in Aktion immer wieder erfahren. Durch das Netzwerk, die Organisiertheit und die Finanzierung der Arche und durch die vielen anderen, einzeln und gemeinsam den Tieren jede/r auf seine Weise Helfenden, Pflegestellen, Fahrdienste Übernehmende, naturheilkundlich Unterstützende.
Ohne all diese Menschen wäre das Bewältigen der Aufgabe, Heraklions Straßentieren zu ein bisschen mehr Würde, Gesundheit und im besten Falle zu familiärem Glück zu verhelfen, nicht ansatzweise machbar.

Ihre Julia Ricken